Reichweite durch YouTube

Anfangs war das Schreiben für Stefan Lange Therapie. Inzwischen beeindruckt der Self-Publishing-Autor mit seiner Geschichte und authentischen YouTube-Videos Leser und Zuschauer.

02.08.2016 · Anja Meiners Vermarkten · Wissen

So offen wie Stefan Lange in seiner Autobiografie „Suicide“ mit dem vermeintliche Tabuthema Depressionen umgeht, so unverfälscht präsentiert sich der Autor in seinen YouTube-Formaten. Die Videos zu seiner Lese- sowie Interviewreihe wurden inzwischen hundertausendfach aufgerufen. Seinen ehrlichen und offenen Umgang mit Depressionen hält Lange für einen der Hauptgründe dafür, dass er so viele Menschen anspricht. Welche Faktoren seiner Meinung nach noch wichtig für ein erfolgreiches Videomarketing sind und wie es seine Geschichte sogar auf die Theaterbühne schaffte, verrät Stefan Lange im Interview.
Die Neuauflage Ihrer Autobiografie erschien Ende 2014. Ihr erstes Buch und der eigentliche Schreibprozess begannen jedoch schon mehrere Jahre zuvor. Was war seinerzeit der Auslöser dafür, mit dem Schreiben zu beginnen?

Auslöser war eine schwere depressive Episode. Es hat lange gedauert bis ich mich durchgerungen hatte, professionelle Hilfe anzunehmen. Der Therapeut empfahl mir zu schreiben, um das „Gefängnis“ von innen her aufzubrechen. So hat alles angefangen …

Hatten Sie von Anfang an vor, Ihr Manuskript später auch als Buch zu veröffentlichen?

Nein, geschrieben habe ich nur für mich selbst. Eine Freundin, die sich für meine Aufzeichnungen interessierte, brachte die Idee ins Spiel, diese Geschichte zu veröffentlichen. Es gab damals überhaupt keine Berichte von Betroffenen, schon gar nicht von Männern.

Sie nutzen YouTube sehr intensiv als Marketingkanal, unter anderem mit einem Lesungsformat. Das Besondere daran ist, dass Sie an zahlreichen Originalschauplätzen wie Münster, der Schweiz und sogar Sevilla aus Ihrem Buch lesen. Stand die Reise in Ihre Vergangenheit für Sie im Vordergrund oder wollten Sie eine besonders authentische Lesereihe kreieren?

Im Vordergrund stand für mich aus privaten Gründen die Reise in die Vergangenheit. Weil ich viele Orte aus meinem Buch besuchen wollte, kam mir spontan die Idee, an genau diesen Orten zu lesen. Die Video-Lesungen an den Original-Handlungsorten waren also eher ein Nebenprodukt der Reise, sonst wäre der finanzielle Aufwand viel zu groß gewesen, insgesamt sind es ja 3 Länder und über 70 Locations, an denen ich gelesen habe.

Stefan Lange

Stefan Lange

wurde 1965 geboren. Alles sah eigentlich nach einem normalen Leben aus. Schule, Abitur, Lehre und dann das BWL-Studium. Die Begegnung mit einem Menschen riss ein altes Trauma wieder auf und Lange stürzte in einen tiefen Abgrund. Die Befreiung daraus war das Schreiben. Eigentlich schrieb er nur für sich selbst. Eine Freundin brachte ihn später auf die Idee, seine Geschichte zu veröffentlichen. Heute engagiert sich der Autor in der Suizidprävention und möchte mit seiner Geschichte einen Bei-trag dazu leisten, die Themen Depression und Suizid zu entstigmatisieren.

„Es geht immer um Sichtbarkeit.“

Mit über 750.000 Aufrufen hat Ihre YouTube-Reihe „Komm, lieber Tod“ eine überaus hohe Reichweite. Erzählen Sie uns von dem Format und von dessen Entstehungsgeschichte.

Als ich mich näher mit dem Medium YouTube auseinandergesetzt habe, fragte ich mich, wie ich die Botschaft aus dem Buch anders als „lesend“ rüberbringen könnte. Aber mit der Kreation eines YouTube-Kanals hatte ich keine Ahnung, geschweige denn vom Filmen, Schnitt etc. Ich habe an eine Art Interview gedacht. Just in dem Moment habe ich zufällig den TV-Bericht gesehen, über einen ehemals Drogensüchtigen, der in über 300 Episoden auf dem YouTube-Kanal ZQNCE (gesprochen: Sequence) aus seinem Leben erzählt hat. Diese Serie „Shore, Stein, Papier“ hatte den Grimme-Online-Award gewonnen.

Ich habe einfach die Redaktion angeschrieben und von mir und meiner Geschichte erzählt. Der Produzent Paul Lücke war auf der Suche nach einer neuen Biographie-Serie, weil sich „Shore, Stein, Papier“ dem Ende neigte. Er fand meine Geschichte so spannend, dass er mich zu Probeaufnahmen nach Osnabrück einlud. Dann kam irgendwann das Go und wir haben „Komm, lieber Tod“ produziert. Ich bin sehr froh über diese Art der Zusammenarbeit, denn der Produzent hat aus meinen Erzählungen das gemacht, was die Serie ausmacht.

Quelle: YouTube / SUICIDE #20: End of journey – Special Edition
Was ist Ihrer Meinung nach der Grund dafür, dass Sie mit Ihren Videos so viele Menschen ansprechen?

Das hat verschiedene Gründe. Zum einen ist es das Anliegen der Produktionsgesellschaft, Biographien unverfälscht zu erzählen, also ohne „scripted reality”, „special effects“ aber eben auch ohne Tabus. Das einfache Set-up, also eine Location und zwei Kameras, trägt dazu bei, den Protagonisten mit seiner Geschichte in den Vordergrund zu stellen. Zudem hatte der Kanal ZQNCE mit fast 100.000 Abonnenten schon eine gewisse Größe und damit Reichweite.

Haben Sie möglicherweise Tipps für andere Autoren zur erfolgreichen Nutzung von Social Media-Plattformen wie YouTube?

Es geht immer um Sichtbarkeit. Hätte ich meinen eigenen Kanal für die Biographie-Serie ins Leben gerufen, also buchstäblich bei Null angefangen, hätte ich auch hier das Problem der mangelnden Sichtbarkeit und dem Generieren von Followern gehabt. Von daher war die Kooperation mit einem größeren Kanal, speziell für mich, sinnvoll.Ein guter Tipp ist, die Videos auf jeden Fall in hoher Qualität aufzuzeichnen (Ton und Bild), also unbedingt in HD. Ich habe Videos und Lesungen von anderen Autoren gesehen: manchmal schlechtes Bild und/oder Ton, auch selbstgebastelte Buch-Trailer mit grausamer Musik und lieblos zusammengeschusterten Bildern, die eher vom Kauf abhalten, als ihn zu fördern. Das finde ich schade anzusehen, gerade wenn Autoren viel Zeit und Mühe in ihr Werk gesteckt haben. Die ganzen Social Media-Plattformen sind ja eine ideale Bühne für die Selbstvermarktung und hier sind der eigenen Kreativität kaum Grenzen gesetzt und es gibt auch zahlreiche Hilfen und Dienstleister, von daher gilt: einfach machen, gerade weil sich die Kosten in Grenzen halten.

Nicht nur in den Medien waren Sie regelmäßig präsent. Mit dem Stück „Drei Monate und ein Tag“ hat es Ihre Geschichte sogar bis auf die Theaterbühne geschafft, die Uraufführung findet am 21. September 2016 in München statt. Wie wurden die Verantwortlichen auf Sie aufmerksam?

Ein befreundeter Autor, der selbst Bücher und Drehbücher schreibt, kannte einen Theaterregisseur und so kam der Kontakt zustande. Guido Verstegen von der Lichtbühne München war, nachdem er mein Buch gelesen hatte, interessiert, den Stoff auf die Bühne zu bringen. Und nun, nach fast 2 Jahren, ist es endlich soweit. Ich bin sehr gespannt, wie er meine Geschichte umsetzt und möchte mich auch überraschen lassen. Zunächst sind 4 Aufführungen im September geplant, aber es gibt schon Ideen und Projekte für weitere Aufführungen, auch in anderen Städten.

„Mir war es wichtig, dass das Cover meine Geschichte widerspiegelt.“

Ihr Buchcover kommt offenbar sehr gut bei Lesern an, es führt sogar aktuell beim diesjährigen Cover-Contest „The Beauty and the Book-Award“ der Frankfurter Buchmesse mit über 800 Stimmen. Stammen die Ideen für dessen Gestaltung von Ihnen und was war Ihnen bei der Wahl Ihres Grafikers wichtig?

Mir war es wichtig, dass das Cover meine Geschichte widerspiegelt, also zum einen meine Beziehung sowie Sevilla, den Ort der Handlung. Die Gestaltung wollte ich Profis überlassen und hatte mehrere Angebote. Bei dem Designer, auf den meine Wahl fiel, gefiel mir die angenehme Zusammenarbeit. Ich hatte das gute Gefühl, dass er meinen Wunsch nicht nur aufgreift, sondern auch in der Bildgestaltung entsprechend umsetzt. Gleich der erste Entwurf hat mich überzeugt. Das Bild zeigt eine Straße in Sevilla, die ich auch während meiner Reise in die andalusische Hauptstadt besucht habe. Im 4. Video meiner Lesungsreihe stehe ich genau an diesem Ort.

„Jede Rückmeldung von Lesern oder Zuschauern ist ein Gewinn.“

Ob Leserstimmen, YouTube-Reichweite oder Medienpräsenz – Ihren Erfolgen liegt vermutlich eine intensive Vermarktungs- und Pressearbeit zugrunde. Wie viel Zeit investieren Sie darin und erhalten Sie Unterstützung?

Ich habe eigentlich keinen genauen Marketingplan und von daher gibt es auch keine festen Zeiten, die ich pro Tag oder Woche investiere. Ich reagiere spontan auf Pressemeldungen, Berichte und entwickle eigene Ideen und Konzepte. Ich versuche meiner eigenen Vorstellung keine Grenzen zu setzen, einfach um möglichst viele Anknüpfungspunkte zu haben, damit ich eine Chance generiere, mein Thema (Buch) in den Wahrnehmungsraum der Öffentlichkeit zu bringen. Es läuft vieles über Kontakte. Ich kooperiere jetzt mit einem Agenten aus Berlin, der seinerseits viele Kontakte in die Medienwelt hat. Mal sehen, was da noch kommt.Jeder Autor definiert Erfolg anders. Welches persönliche Ziel verfolgen Sie mit Ihrer Arbeit und Ihrem Buch?

Erfolg ist für mich persönlich keine messbare Größe, also verkaufte Bücher und eingenommene Tantiemen. Mir geht es darum, einen Beitrag zur Enttabuisierung und Entstigmatisierung zu leisten. Jede Rückmeldung von Lesern oder Zuschauern, und davon gab es viele sehr emotionale, ist ein Gewinn.Zu Ihrer weiteren Planung. Was steht bei Ihnen in den kommenden Monaten noch an, können Ihre Leser mit weiteren Büchern oder neuen Formaten rechnen?

Einiges. Da sind zunächst die Theateraufführungen in München. Dann sind wir mit unserer Serie „Komm, lieber Tod“ zu Gast auf zwei Web-Festivals in Hamburg und Berlin. Dann gibt es konkretere Planungen für eine mögliche filmische Umsetzung und mein Agent hat auch noch einiges mit mir vor. Ich bin selbst gespannt. Ein neues Buch? Das Schreiben fällt mir nicht so zu wie manch anderem, aber man sollte ja niemals nie sagen, oder?Wir danken recht herzlich für das interessante Interview!

 

Bildquelle: Stefan Lange

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