Wer erzählt die Geschichte deines Buchs? Die Hauptfigur selbst oder eine neutrale Stimme im Hintergrund? Können die Lesende von den Gedanken der Personen erfahren oder sind sie stattdessen an vielen Orten gleichzeitig? All das hängt davon ab, für welche Erzählperspektive du dich entscheidest, wenn du ein Buch schreibst. Hier gibt es große Unterschiede und je nach Perspektive kann dein Buch eine völlig andere Wirkung entfalten.
Die Ich-Perspektive
Wenn du dich für die Ich-Perspektive entscheidest, tauchst du sehr stark in die Rolle deiner Hauptperson ein. Die gesamte Geschichte wird aus ihrer Perspektive geschrieben, die Leser*innen können sich so in diese Person hineinversetzen. Im Text verwendest du als Autor*in häufig „ich“, „mein“ und „mir“ – was in anderen Protagonist*innen vorgeht, erfahren die Lesenden nicht. Schließlich geht es um eine Geschichte, die sehr subjektiv und konsequent aus der Sicht einer Person erzählt wird.
Beispiel: „Als ich den Raum betrat, herrschte Stille. Ich bemerkte, dass alle mich anblickten – und mein Hals fühlte sich an wie zugeschnürt. Nur Carla würdigte mich keines Blickes, was mich noch mehr verunsicherte.“
Vorteile der Ich-Perspektive:
- Die Lesenden kommen sehr nah an die Gefühle und Gedanken der Hauptfigur heran, es besteht eine große Identifikation. Die Geschichte wird aus erster Hand erlebt.
- Es ist möglich, innere Monologe zu führen und so besonders tief in die emotionale und gedankliche Welt der Person einzutauchen.
Nachteile der Ich-Perspektive:
- Da alles nur aus einer Perspektive beschrieben wird, ist die Sichtweise eingeschränkt – das kann es möglicherweise schwerer machen, die Beweggründe anderer Figuren darzustellen.
- Durch die starke Identifikation mit der Hauptfigur ist es hilfreich, wenn Leser*innen zu ihr Sympathie empfinden. Bei „Antihelden“ als Hauptfigur könnte das zu einem Problem werden.
Die personale Perspektive
Diese Variante ist nah dran an der Ich-Perspektive – jedoch wird das Buch in der dritten Person erzählt. Gleichzeitig tauchen die Leser*innen stark in die Gedanken- und Gefühlswelt der Hauptfigur ein, da die Geschichte nur aus ihrer Sicht erzählt wird. Es ist also möglich, eine starke Identifikation zu schaffen, obwohl bewusst auf die Verwendung von „Ich“ verzichtet wird.
Beispiel: „Als Steffi den Raum betrat, herrschte Stille. Sie bemerkte, dass alle sie anblickten – und ihr Hals fühlte sich an wie zugeschnürt. Nur Carla würdigte Steffi keines Blickes, was sie noch mehr verunsicherte.“
Vorteile der personalen Perspektive:
- Obwohl die Leser*innen sehr nah an die Figur und ihre Gedanken herankommen, bleibt trotzdem eine gewisse Objektivität bestehen.
- Es kann die Spannung erhöhen, wenn die Leser*innen nur die Beweggründe der Hauptfigur kennen und nicht in die Gedanken anderer Figuren eintauchen.
Nachteile der personalen Perspektive:
- Durch die Schilderung in der dritten Person ist die Identifikation mit der Hauptfigur geringer als in der Ich-Perspektive.
- Obwohl man nicht aus Sicht der Figur schreibt, sondern über sie, ist es nicht möglich, auch die Perspektiven anderer Hauptfiguren darzustellen. Das kann einige Autor*innen in ihrem Schreiben begrenzen.
Auktoriale Erzählperspektive
Bei einem Buch mit auktorialer Erzählperspektive ist der Erzähler allwissend – und somit sind es auch die Leserinnen. Die Geschichten verschiedener Figuren werden aus einer übergeordneten Perspektive erzählt. Der Erzähler kennt die Gedanken und Gefühle aller Figuren und kann an allen Schauplätzen der Geschichte sein. In der Regel bleibt der Erzähler anonym, nur in seltenen Fällen tritt dieser selbst in Erscheinung.
Beispiel: „Als Steffi den Raum betrat, herrschte Stille. Sie bemerkte, dass alle sie anblickten – und ihr Hals fühlte sich an wie zugeschnürt. Nur Carla würdigte Steffi keines Blickes. Denn sie konnte es kaum ertragen, gemeinsam mit Steffi in einem Raum zu sein. Nach allem, was passiert war.“
Vorteile der auktorialen Erzählperspektive:
- Es ist möglich, die Gefühle und Gedanken aller Figuren darzustellen. Das erlaubt es, den Lesenden einen umfassenden Einblick zu geben und die Handlung aus allen Blickwinkeln zu verstehen.
- Es kann die Spannung erhöhen, wenn Lesende einen Wissensvorsprung gegenüber der Hauptfigur haben.
Nachteile der auktorialen Erzählperspektive:
- Oft besteht eine gewisse Distanz oder fehlende emotionale Nähe zu den Figuren der Geschichte, da der allwissende Erzähler über allen schwebt – aber in niemandem wirklich drinsteckt.
- Es besteht die Gefahr der Überfrachtung. Wer zu viele Informationen zum Geschehen und den Motiven einzelner Figuren preisgibt, mindert womöglich die Spannung.
Neutrale Erzählperspektive
Wenn du dich für eine neutrale Erzählperspektive entscheidest, gibt es ebenfalls einen neutralen Erzähler – allerdings kann dieser nicht in die Figuren „hineinschauen“, sondern schildert die Geschehnisse ganz neutral. Es ist eine Perspektive von oben, die beobachtet und berichtet, ohne persönliche Gedanken der handelnden Personen. Du kannst es dir vorstellen wie eine Filmkamera, die einfach das Geschehen aufnimmt und weitergibt.
Beispiel: „Als Steffi den Raum betrat, herrschte Stille. Auch Steffi sagte zunächst nichts. Alle anderen im Raum sahen sie an, nur Carla blickte auf den Boden.“
Vorteile der neutralen Erzählperspektive
- Sehr objektive Darstellung, alle Figuren werden in gleicher Nähe und Distanz dargestellt, sodass sich die Lesenden ein ganz eigenes Bild machen können.
- Diese Perspektive macht es möglich, auch Szenen zu beschreiben, bei denen kein Charakter der Geschichte anwesend ist.
Nachteile der neutralen Erzählperspektive
- Es kann für die Lesenden schwerer sein, sich mit den Figuren des Buchs zu identifizieren. Das kann einen Verlust von Emotionalität beim Lesen bedeuten.
- Für dich als Autor*in ist es nicht möglich, die Innenwelt der Charaktere darzustellen.
Wechselnde Erzählperspektiven
Es ist auch möglich, zwischen verschiedenen Erzählperspektiven zu wechseln. Dabei kannst du zum Beispiel in verschiedenen Kapiteln verschiedene Perspektiven darstellen – also die Geschichten aus vielen persönlichen Blickwinkeln darstellen. Das geht aus der Ich-Perspektive oder aus personaler Perspektive unterschiedlicher Personen. Auch ein Wechsel zwischen personaler und auktorialer Sichtweise ist denkbar.
Beispiel: „Als Steffi den Raum betrat, herrschte Stille. Sie bemerkte, dass alle sie anblickten – und ihr Hals fühlte sich an wie zugeschnürt. Nur Carla würdigte Steffi keines Blickes, was sie noch mehr verunsicherte.“
Im nächsten Kapitel: „Carla erinnerte sich an die Stille, die geherrscht hatte, als Steffi den Raum betrat. Sie selbst wollte am liebsten einfach verschwinden, wusste jedoch, dass es in dieser Situation nicht angebracht war. Carla wünschte sich, dass sich ihr Verhältnis wieder normalisierte – aber wie sollte das gehen?“
Vorteil von wechselnden Erzählperspektiven:
- Der Wechsel von Perspektiven erschafft Vielschichtigkeit und kann Dynamik im Buch erzeugen.
- Es ist möglich, tief in die Gedanken und Gefühle verschiedener Protagonist*innen einzutauchen, was die Spannung erhöhen kann.
Nachteile von wechselnden Erzählperspektiven:
- Viele Wechsel erhöhen die Komplexität des Buchs. Als Autor*in solltest du gut darauf achten, keine Verwirrung zu erzeugen und immer klar machen, wer gerade erzählt.
- Es ist besonders herausfordernd, die Geschichte in ihrem Ablauf klar und logisch zu erzählen, wenn häufig die Perspektiven wechseln.
Für welches Buch-Genre welche Erzählperspektive?
Auch wenn es keine klare Zuordnung oder Vorgaben gibt, in welchem Buch-Genre oder zu welchem Thema du welche Erzählperspektive wählen solltest: Aus den genannten Aspekten ergeben sich individuelle Vor- und Nachteile je nach Genre. So kann es zum Beispiel bei einem Thriller besonders viel Spannung und Mitfiebern erzeugen, wenn du die Ich-Perspektive wählst. Ein Wechsel hin zur Ich-Perspektive des Täters könnte eine zusätzliche Ebene hineinbringen.
Die auktoriale Erzählperspektive ist besonders für sehr komplexe Geschichten geeignet, in der es viele Figuren und mehrere Handlungsstränge parallel gibt. Das gilt häufig für historische Romane oder lange Fantasy-Büchern. Die personale Erzählperspektive passt zu vielen Genres, sie ist bei modernen Romanen beliebt, in denen man tief in die Gedanken einer Figur eintauchen möchte und gleichzeitig durch die dritte Person flexibel bleiben möchte und nicht auf die Ich-Perspektive festgelegt ist.
Wenn du dich fragst, welche Erzählperspektive bei Kurzgeschichten besonders passend ist: Hier solltest du wegen der begrenzten Länge auf eine möglichst einfache Variante setzen. Gut sind die Ich-Perspektive oder die personale Erzählperspektive, da sie es ermöglichen, schnell in die Emotionen und Gedanken einer Person einzutauchen.
Welche Erzählperspektive passt zu deinem Buch?
Du hast nun einen guten Überblick über die verschiedenen Erzählperspektiven und kannst entscheiden, was zu deinem Buch passt. Vieles hängt dabei auch von individuellen Vorlieben ab: Vielleicht möchtest du unbedingt aus der Ich-Perspektive einer Figur erzählen? Oder es ist dir wichtig, als auktorialer Erzähler an vielen Schauplätzen gleichzeitig zu sein? Zusätzlich hast du bei allen Perspektiven immer die Option, die Zeitstruktur beim Erzählen anzupassen, also in die Vergangenheit oder Zukunft zu blicken.
Höre also auf dein eigenes Gefühl und überlege dann, was du der Geschichte deines Buchs passt. Du kannst auch einige Test-Seiten schreiben, in denen du verschiedene Perspektiven einnimmst, um so herauszufinden, was bei deinem Buch am besten funktioniert.
Fazit
Klar ist: Die Erzählperspektive hat großen Einfluss darauf, welche Emotionalität du erzeugst, wie sehr sich Lesende mit deiner Hauptfigur identifizieren und welchen Spielraum du hast, verschiedene Szenen darzustellen. Es lohnt sich also, vorab gründlich Gedanken in die Frage zu stecken, welche Erzählperspektive du verwendest – und wenn du die Entscheidung getroffen hast, kannst du damit beginnen, dein Buch aus dieser Perspektive zu schreiben.