Authentische Charaktere entwickeln

In unserem Gastbeitrag über Charakterentwicklung, verrät Serena Avanlea, warum es sich lohnt auf die Erkenntnisse der Psychologie zurückzugreifen.

16.01.2019 · BoD Schreiben · Wissen

Serena Avanlea

Serena Avanlea ist Lektorin und Jugendbuch-Autorin. Auf ihren YouTube-Kanal gibt sie regelmäßig Schreibtipps und auf ihrer Website  erfahrt ihr alles über ihr Lektoratsangebot und es gibt Insidertipps aus der Verlagsbranche.


Um spannende Bücher zu schreiben, die der Leser kaum noch aus der Hand legen kann, braucht man vor allem fesselnde Charaktere und jede Menge Emotionen, die erzeugt werden.

Aber wie schafft man das?

Um besonders authentische aber trotzdem spannende Buchfiguren zu entwickeln, greife ich gerne auf Erkenntnisse aus der Psychologie zurück. Das ist eigentlich naheliegend, denn immerhin ist es das Ziel der Psychologie, menschliche Verhaltensweisen zu beschreiben und zu erklären.

Wie man beispielsweise Persönlichkeitsstörungen als Inspiration für Buchfiguren nehmen kann, habe ich bereits in einem meiner Blogartikel beschrieben.

Aber es gibt auch noch viele weitere Möglichkeiten:

Authentische Charaktere mit Persönlichkeitstests

Mein liebstes Hilfsmittel aus der Psychologie sind Persönlichkeitstests.

Auf der Seite von 16personalities bspw. kann man sich einen sehr guten Überblick verschaffen, welche Typen es gibt und zu jedem eine umfangreiche Erklärung durchlesen.

So fällt es nicht nur leichter, wenn man selber beispielsweise „Mediator“ ist (wie viele Autoren), zu erfahren, wie ein „Analyst“ denkt, man bekommt auch jede Menge Anregungen für die Stärken und Schwächen dieser Person und kann ohne viele Aufwand eine authentische Figur mit Backstory planen.

Man kann auch folgende Tests nutzen, hier muss man aber tatsächlich den Test ausfüllen und kann nicht direkt in den Ergebnissen stöbern:

Persönlichkeitstest A
Persönlichkeitstest B
Persönlichkeitstest C

Wobei noch angemerkt sein sollte, dass es in der Realität immer schwierig ist, wenn man Menschen in Typen einordnet. Da es hier aber ja um Buchfiguren und Inspiration geht, finde ich, dass man gut auf die Typen zurückgreifen kann. Um die Charaktere besonders authentisch zu machen, könnt ihr ja darauf achten, dass sie in gewissen Situationen auch mal von ihrem Typ abweichen und hin und wieder auch Verhaltensweisen aus anderen Typen zeigen.

Eine weitere hilfreiche Methode für spannende Buchfiguren ist das Ergründen der inneren Antreiber, von denen erfahrungsgemäß jeder von uns – mal stärker, mal schwächer – folgt.

Finde also heraus:

Was treibt deine Buchfigur an?

Die inneren „Antreiber“ sind ein Modell aus der Transaktionsanalyse und werden deinen Buchcharakter noch authentische wirken lassen. Sie flüstern uns Dinge ein wie:

Sei stark!
Sei perfekt!
Mach es allen recht!
Beeil dich!
Streng dich an!

Menschen mit einem „Sei-stark-Antreiber“ erlauben sich keinerlei Gefühle und zeigen niemals Schwäche. Sie sind sehr beherrscht und haben sich jederzeit vollkommen unter Kontrolle. Das wäre der perfekte hartgesottene Ermittler, oder?

Wer den „Perfektionismus-Antreiber“ hat, steht unter permanenten Druck, denn diese Personen denken, dass sie nur durch eine fehlerfreie Leistung Anerkennung bekommen. Daher scheuen sie keinerlei Aufwand, um dies zu erreichen. Hier sehe ich gleich eine typische Über-Mutter vor mir. Aber auch fleißig arbeitende Angestellte würden in diese Kategorie schreiben. Wie verändert sich das Verhalten deiner Figur, wenn sie diesen Antreiber in sich trägt?

Wird man von dem „Mach-es-allen-recht-Antreiber“ beherrscht, schafft man es vermutlich niemals „nein“ zu sagen. Die eigenen Bedürfnisse stehen hier ganz hinten an und kommen immer wieder zu kurz. Das wäre doch der Ausgangspunkt einer typischen, viel zu netten Roman-Heldin, die im Laufe des Romans lernen muss, auch mal auf sich zu achten.

Mit dem „Beeil-dich-Antreiber“ ist es eher ungemütlich. Ständig ist der Mensch in Bewegung. Er muss so viel, so schnell machen, dass er bereits mit der Planung der übernächsten Aufgabe beginnt, wenn er die momentane noch gar nicht abgeschlossen hat und die nächste schon parallel begonnen hat.

Dies sehe ich eher bei Kindern, die immer auf dem Sprung sind oder für Nebenfiguren. Für einen ganzen Roman eine Figur mit einem Beeil-dich-Antreiber zu begleiten, stelle ich mir sehr anstrengend vor. Aber vielleicht mag ja jemand von euch Herausforderungen und kann mir beweisen, dass es doch möglich ist?

Der „Streng-dich-an-Antreiber“ sorgt dafür, dass der pflichtbewusste Mensch das Gefühl hat, dass nur hart erarbeitete Leistungen zählen. Er muss es schaffen – und das alleine. Daher lebt er in ständiger Angst, dass andere besser sein könnten.
Hier sehe ich eine sehr schüchterne Figur, die immer wieder kämpft und auf ihrer Reise lernen muss, dass sie sich auch auf andere verlassen kann.

Und? Hast du deinen Protagonisten schon erkannt?

Ich denke, es ist offensichtlich, dass sich eine Buchfigur mit einem ausgeprägten „Sei-stark-Antreiber“ vollkommen anders verhält als Charaktere mit „Mach-es-allen-recht-Antreibern“. Richtig spannend wird es natürlich erst, wenn mehrere Antreiber in einer Figur wirken.

Du kannst sie nutzen, um deiner Figur noch eine weitere Dimension, mehr Tiefe zu verleihen. Außerdem kann es helfen, dass deine Figuren immer plausibel reagieren, wenn du immer ihre inneren Antreiber im Hinterkopf hast.

Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel. In der Tat kann es auch spannend sein, eine Figur zu erschaffen, die ihren Antreiber sehr gut im Griff hat und den man ihn zunächst gar nicht zugetraut hätte.

Psychologische Erkenntnisse zur Inspiration

Erkenntnisse aus der Psychologie lassen sich aber sehr vielfältig einsetzen.

Geht es deinem Buch also um eine Trennung oder verliert jemand eine geliebte Person, solltest du dir die vier Phasen des Verlusts von Verena Kast anschauen. Wenn sich in dem Roman eine Gruppe bildet, kannst du dir anschauen, welche sozialen Rollen es hier gibt und wie sie gebildet werden etc.

Kurz: Wann immer Menschen miteinander interagieren, gibt es ein psychologisches Konzept dazu.

Und wenn du noch Inspiration für deinen Roman brauchst, lohnt es sich immer nachzuschauen, welche psychologischen Erkenntnisse es dazu gibt.

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