Bookdate Contest 2023: Die finalen Geschichten stehen fest

Unsere neun Geschichten für das Finale unseres Schreibwettbewerbs "Bookdate Contest 2023" stehen fest!

Vom 6. bis 28. Februar 2023 haben wir zusammen mit TWENTYSIX die drei besten Geschichten zum Thema: „Ich hab noch nie …“ in den Genres Romance, Fantasy und Crime gesucht.

Nachdem viele tolle Geschichten eingereicht wurden, hat unsere Jury, bestehend aus den drei Autorinnen Marah Woolf, D.C. Odesza und Ulrike Busch, drei Geschichten pro Genre für das Finale ausgewählt. Wir freuen uns, dir heute die neun besten Geschichten präsentieren zu dürfen.

Das große Finale des Bookdate Contest findet am 29. April 20233 im Rahmen der Leipziger Buchmesse statt. Aktuell werden die ausgewählten Texte lektoriert, bevor sie von unserer Sprecherin Beatrix Hermens am Final-Abend gelesen und die Gewinnergeschichten von den Teilnehmenden vor Ort gewählt werden.

UPDATE: Nach unserem tollen Finale in Leipzig haben wir überraschenderweise nicht nur drei, sondern gleich vier Gewinner*innen küren dürfen: Heather M. Kaufmann gewinnt mit ihrer Geschichte „Never End“ für Romance, „Nachtfalter“ von Janine Kröger gewinnt im Genre Fantasy und den Thron der Crime-Geschichten teilen sich Thomas Knüwer mit „Die Uhr“ und Yvonne Uhlig mit „Untermiete“. Herzlichen Glückwunsch!

Romance-Finalistinnen

Jurymitglied D.C. Odesza

Ein Herz aus Eis und Schnee, davor eine Aufschrift Never End

Heather M. Kaufmann

NEVER END

„… Zuletzt gesehen wurden beide Senioren vor drei Tagen beim Abendessen in ihren Einrichtungen. Der 81-jährige Hannes B. im Seniorenstift ‚Abendsonne‘, wo sich das Paar vor einem Vierteljahr kennengelernt hatte, bevor Hilde M. (84) in das örtliche Hospiz verlegt wurde. Es liegen Hinweise vor, dass sie gemeinsam ans Meer wollen. Die gesuchten Personen sind auf Medikamente angewiesen und hilfsbedürftig. Da sie keine Angehörigen haben, werden sie versuchen, in einem Hotel oder in einer Pension unterzukommen. Sachdienliche Informationen zum Verbleib …“

Hannes schaltete den Fernseher aus und legte sich neben Hilde auf das Bett. „Hast du die Verbrecherfotos von uns gesehen?“, lachte er. „Als würden sie nach Bonny und Clyde fahnden. Offensichtlich ist es strengstens verboten, sich einfach in Luft aufzulösen.“

„So alt wie wir sind, wären Bonny und Clyde sicher gerne geworden. Wie lange werden sie wohl nach uns suchen?“
Hannes strich Hilde eine Strähne ihres schütteren Haars aus der Stirn. „Wir haben noch genug Zeit, keine Bange.“

„Bin ich denn keine Bürde für dich?“

„Eine Bürde? Erzähl keinen Unsinn, Liebes! Die Zeit mit dir war für mich die unbeschwerteste und erfüllteste. Unsere Leben begannen im Heim und sollten keinesfalls in einem enden. Fast wäre ich erfroren, denn wenn die Seele friert, erstarrt auch das Herz zu Eis. Du hast meines mit deiner Wärme aufgetaut und zum ersten Mal spüre ich es vor Freude schlagen. Noch nie wurde ich so geliebt!“

„Und ich habe nie zuvor so geliebt, dass ich mich auf einen gemeinsamen letzten Herzschlag freue. Für alles gibt es ein erstes und ein letztes Mal.“
Hannes schmiegte sich eng an Hilde, kicherte verlegen und flüsterte: „Das stimmt. Ich habe nie nackt im Meer gebadet.“

Hilde lächelte über sein Geständnis. „Bald werden wir sämtlichen Ballast abwerfen! Wir werden gehen, wie wir gekommen sind. Nur die Reihenfolge ist umgekehrt. Erst ein kleiner Kampf, dann der Frieden. Aber wir sind nicht alleine.“

Rosa Bild, im Hintergrund ist ein Schrank in dem sich zwei Figuren küssen

Pia Kristin

Fünf Minuten

„Ich habe noch nie.“ Ich flüstere die Worte so leise, das ich mir nicht sicher bin, ob Nico sie verstanden hat. Durch den kleinen Schlitz an der Schranktür, fällt ein leichter Lichtstrahl. Wir stehen im Schrank von Susi und ich fange an, Geburtstagsfeiern zu hassen.

„Es ist nicht schlimm sagt er.“

Ich spüre seinen Atem und wie er näherkommt. „Mach einfach deinem Mund zu und wenn ich meine Lippen auf deine lege, machst du ihn etwas auf.“

Ich kann nicht darüber nachdenken, als ich schon seine feuchten Lippen auf meinen spüre. Ich schrecke zurück und muss spucken, so eklig finde ich es.

„Bäh, was soll das?“ Ich versuche leise zu sprechen. Aber das Kichern vor dem Schrank, verrät mir, dass man uns gehört hat.

„Die Tina hat sich nicht so angestellt“, sagt Nico beleidigt. Wenn ich ihn sehen würde, würde ich ihm eine knallen. Wann sind die verdammten fünf Minuten nur rum? Ich drücke mich in die Schrankecke und verschränke die Arme. Den will ich jedenfalls nie wieder küssen.

Ich muss laut auflachen und halte mir sofort die Hand vor den Mund. Der komplette Vorstand schaut mich fragend an. Ich konnte nichts gegen die Gedankenschleife machen, die in meinen Kopf schoss, als ich sehe, wer den Saal betritt.

Ich entschuldige mich leise und senke meinen Blick, damit niemand mein Grinsen sehen kann. Kurz hebe ich meinen Kopf, um mich zu vergewissern, dass er es wirklich ist, Nicolas Wöll, mein neuer Chef.

Seine Lippen sind immer noch so voll wie damals. Warum genau wollte ich nie wieder küssen? Er kommt auf mich zu. „Schön dich hier zu sehen Caro, es ist verdammt lang her.“ Er streckt mir seine Hand entgegen.

„Dreißig Jahre, um genau zu sein“ sage ich und kann meinen Blick nicht von seinem geschwungenen Mund lassen. „Ich habe einiges dazu gelernt“, sagt er und sein Blick verrät mir, das er genau die gleiche Szene, von damals, in Susis Kleiderschrank vor Augen hat.

Junge Frau lehnt an einer Backsteinwand

Alexandra Berchtenbreiter

Hinweis: Es besteht kein Zusammenhang zwischen dem hier abgebildeten Model und dem untenstehenden Text.

Teheran 10.50 Uhr

Mein Kopf dröhnte. Alles um mich herum drehte sich, schnell, haltlos, als säße ich in einem wilden Karussell, dessen Fahrt mir beinahe die Sinne raubte. Irgendwo konnte ich die Schreie meiner kleinen Schwester vernehmen, während sie mich mit sich zerrte. Hinaus auf die Straße, weg von meinem Zuhause, das sich gleichzeitig wie mein Gefängnis anfühlte.
Shahins Worte hallten noch immer in meinen Ohren, schmerzten mich wie Peitschenhiebe, die fortwährend in mein Bewusstsein schnitten.

„Meine Schwester fickt keinen Typen wie irgendeine Hure! Vorher bringe ich dich um, Jasemin!“ Ich hatte keine Sekunde an seinen Worten gezweifelt, während seine Fäuste auf mein Gesicht niedersausten.
Ein Schluchzer trat aus meiner Kehle. Ich hatte nicht vorgehabt, mich zu verlieben. Im Gegenteil Ajdin und ich hatten dagegen angekämpft, waren uns aus dem Weg gegangen. Und dennoch hatte er sich in meinen Kopf eingenistet wie hartnäckige Kletten mit Widerhaken.

„Ich… ich will mich nicht von Ajdin fernhalten. Ich kann einfach nicht, verstehst du?“, es klang wie ein Flüstern. Doch in diesem Moment wurde mir klar, dass ich mich Shahin stellen musste. Dass er mich nicht weiter unterdrücken durfte. Dass ich für mein Leben kämpfen musste. Das Leben, das ich mit Ajdin verbringen wollte.

Mit einer eleganten Handbewegung griff ich an meinen Hijab. Ich weiß nicht, woher dieser Impuls kam, wieso ich den Mut nun aufbrachte, wo mich mein Bruder doch wenige Augenblicke zuvor beinahe krankenhausreif geprügelt hatte. Panik blitzte in den Augen meiner Schwester auf, während meine schwarzen Haare auf offener Straße wie ein wallendes Meer über meinen Rücken fielen. Nicht, weil ich in meinem Glauben wankte, sondern weil ich endlich für mich entscheiden wollte. Tränen glitzerten in ihren Augen.

„Wo willst du hin?“, flüsterte sie.
„Zu Ajdin!“, sagte ich erschöpft. „Ich werde endlich das tun, was für mich richtig ist. Und nicht das, was von mir erwartet wird!“

Fantasy-Finalistinnen und -Finalisten

Jurymitglied Marah Woolf

Blutiger Nachtfalter auf einem Rücken

Janine Kröger

Nachtfalter

»Ich habe dich überall gesucht.« Seine Worte klingen weich und einstudiert. Hinten in den Verliesen brennen Fackeln, deren Schein unruhig den Sandweg zwischen den Steinmauern beleuchtet. Zielstrebig kommt er durch den schmalen Gang auf mich zu.

Die Nachtfalter in meinem Haar schlagen nervös mit ihren Flügeln. Ich versuche sie zu beruhigen, damit sie uns nicht verraten. In Gedanken summe ich eine Melodie und sie wirkt. Augenblicklich erstarren ihre Körper. Ich stoße die angehaltene Luft aus und hoffe, er verwechselt meine Kurzatmigkeit mit Erleichterung.

»Ich war hier. Hast du die Schattenfeen gefunden?«, frage ich ihn. Die Spitze der kurzen Klinge in meiner Faust, drückt sich in mein Fleisch und ich umfasse sie fester. Der Schmerz hilft mir mich zu fokussieren. Ein Lächeln umspielt meine Mundwinkel und ich breite meine Arme aus. Er spiegelt meine Geste, dann lasse ich mich in seine Umarmung fallen.

»Maisie«, flüstert er in mein Haar. Sein Atem ist kalt. Er drückt etwas zu fest.

Der Stoß ist schnell und präzise. In die Mitte, der dritten und vierten Rippe, schräg nach oben in den Herzbeutel. Das Silber der Klinge zischt und Rauch quillt zwischen uns hervor. Die Falter in meinem Haar steigen auf und umschwirren unsere Köpfe. Mein Herz stolpert in die Stille hinein und alles wird taub.

Die Muskeln, die mich halten, erschlaffen und er tritt einen Schritt zurück. Seine Lider flattern, wie meine Totenkopfschwärmer im Umriss seiner Silhouette, dann sackt mein bester Freund zusammen und ist tot.

Meinen ersten Mord hatte ich mir anders vorgestellt. Ich dachte immer, ich würde zögern.

Spiegelung von Bäumen in einem See

Zero Luna

Das Monster

Vember verkniff sich ein Lachen. Der zitternde Pfeil steckte in einem Baum. Zwar hatte das tote Holz in der Dämmerung tatsächlich etwas Ähnlichkeit mit einem Ungeheuer, aber ein so erfahrener Jäger wie Lor sollte sich davon eigentlich nicht täuschen lassen.

Die anderen Männer klopften ihm grinsend auf die Schulter, als er den Pfeil verbissen aus seinem Opfer herausriss.

Der gutmütige Brianon, der die Jäger anführte, übertönte die allgemeine Heiterkeit. „Jungs, es war ein langer Tag. Lasst uns für heute abbrechen.“ Zustimmendes Gejole zerriss die Stille des Waldes.

Lor lief auf dem Rückweg zum Lager neben ihm her. „Wie soll man denn wissen, worauf man schießen muss, wenn man nicht weiß, was man jagt?“, maulte er. Vember verstand seinen Unmut. Er grinste. „Wie, warst du etwa noch nie auf Monsterjagd?“ Lor schnaubte. „Wir könnten genau so gut Gespenster fangen. Verdammter Aberglaube. Aber wenigstens zahlen sie gut.“

Das stimmte. Denn das Dorf, dass sie angeheuert hatte, hatte unverkennbar große Angst vor etwas.

„Glaubst du eigentlich an diese ganze Geschichte?“, fragte er. Lor zuckte die Achseln. „Keine Ahnung. Irgendwas treibt hier bestimmt sein Unwesen.“ Damit schien das Thema für ihn erledigt.

Vember hingegen lief noch gedankenversunken am Ufer des Loch Ness entlang, als die anderen schon um das knisternde Feuer in der Mitte des Zeltlagers saßen. Ihre Schatten tanzten auf der glatten, tiefschwarzen Oberfläche des riesigen Sees.

Das eiskalte Wasser leckte an seinen Füßen, als er hinzuwaten begann. Er betrachtete die kleinen Wellen, ging in die Hocke und fuhr mit der Hand hindurch. ,,Ich weiß, dass du da bist“, murmelte er. Als er aufsah, blickte er in intelligente, dunkle Augen. Er streckte den Arm, kraulte die glatten, feuchten Schuppen unter dem Kinn, dort wo der Wasserdrache es am liebsten mochte. Der schmale, elegante Kopf drückte sich gegen seine Handfläche, fast schnurrte das große Tier.

Vember schmunzelte. „Dieses Versteckspiel macht dir richtig Spaß, was?“

Wiese mit einem Sonnenaufgang im Hintergrund

Nadine Opitz

Das zweite Leben

An diesem Tag begann mein zweites Leben. Als mein Beschützer die Tür öffnete und seine großen Hörner in die Küche steckte, wusste ich, dass es endlich vorbei war.

Mit einer großen Zange durchschnitt er die Kette, die meinen Halsring mit einem Pfahl im Wohnzimmer verband. Seine behaarte Hand strich über meinen ausgemergelten, weißen Rücken, dort, wo einst meine Flügel waren.

Ich habe noch nie ein so erdrückendes Mitgefühl gespürt. Aber es ist warm. Sehr warm.

Mein Retter geleitete mich zur Tür und fragte, ob ich bereit sei. Ich schüttelte den Kopf. Nie durfte ich einen Schritt über diese Schwelle wagen.

Der Zwerg hatte dafür gesorgt, dass ich seiner Gefangenschaft nicht hätte entfliehen können. Doch nun war er tot. Sein Blut klebte noch an meinem Körper, der aus Angst vor dem Unbekannten zu zittern begann.

Mein Beschützer legte mir eine Decke um die Schultern und gab mir einen kleinen Schubs.

Ich hatte noch nie die Sonne auf der Haut gespürt.

Meine Augenlider zuckten. Ich hatte noch nie den Wald gerochen. Diesen Duft von vergehendem und neu wachsendem, blühendem Leben. Meine Nase war den muffigen Gestank der Zwergenhütte gewohnt.

Ich hatte noch nie Blätter unter meinen Füßen rascheln gehört. Nach ein paar Schritten hielt ich inne. Ich hatte noch nie den feuchten Kuss von taubenetztem Moos an meinen Füßen gespürt. So frisch, so lebendig, so sanft.

Ich kniete mich hin und begann mit dem Tau meine blutbeschmierte Haut zu reinigen. Und dann wollte ich nichts anderes als schlafen. Endlich zur Ruhe kommen. Die Augen schließen, ohne dass die Furcht sie einen Spalt weit offenhielt.

Mein Körper sank auf das Moosbett und mein Herz blieb für einen Moment stehen. Ich war gestorben, um wieder aufzuerstehen.

Crime-Finalistinnen

Jurymitglied Ulrike Busch

Ein gezeichneter Leuchtturm, umgeben von Eisschollen

Jess A. Loup

Bis jetzt

Sie trugen noch immer ihre Faschingsmasken. Hase war mittelgroß, Fuchs kleiner. Schnee knirschte unter ihren Stiefeln, als sie zum Leuchtturm hochstiegen.

Hase setzte den Rucksack ab und kramte darin herum. Er reichte Fuchs einen Kleinen Feigling. Sie hob das Fläschchen an. „Ich bin noch nie irgendwo eingebrochen.“

Sie klopften, tranken, warfen die Flaschen weg.

„Bis jetzt jedenfalls“, sagte Fuchs.

Hase knackte das alte Schloss in Sekunden und sie trampelten hinein, hemmungslos lachend.

„Machen wir Licht?“

Er schnaubte. „Is’n Leuchtturm, oder? Der muss leuchten!“

Es passierte nichts, als er auf den Lichtschalter drückte, alles war seit Jahren außer Betrieb. Hase tastete nach Fuchs, drückte ihr noch einen Feigling in die Hand.

„Bin noch nie auf’n Leuchtturm gekraxelt.“

Sie hämmerten die Fläschchen gegen die Mauer, tranken. Ließen die Klopfer fallen.

„Bis jetzt.“

Fuchs stolperte voran. Hase folgte ihr, sich am Handlauf festkrallend.

„Warte!“ Ungefähr in der Mitte hielt er inne, leuchtete mit dem Handy in seinen Rucksack. Reichte ihr den soundsovielten Feigling. Irgendwo bei acht oder neun hatte er mit dem Zählen aufgehört.

„Ähm.“ Fuchs überlegte. „Ich bin noch nie … allein mit einem Fremden losgezogen.“

Klopfen, trinken, wegwerfen.

„Bis jetzt.“

Fuchs ging weiter. Sie schwiegen, bis sie es nach oben geschafft hatten. Wieder knackte Hase das Schloss an der Tür, die auf die Plattform führte. Der kalte Wind jaulte wie ein grippekranker Wolf. Dunkelheit hüllte sie ein. Sie lehnten sich an das Geländer; beide fröstelten.

„Du bist dran“, sagte Fuchs.

Er zitterte, als er ihr den Klopfer reichte. „Hab noch nie jemanden umgebracht.“

Fuchs lachte.

Er klopfte.

Sie nicht.

Hase trank, warf das Fläschchen fort. Er würgte und fiel auf die Knie.

Als er sich genau unter ihrem Schwerpunkt befand, packte er ihre Füße und riss sie nach oben.

Fuchs fiel genauso wie der Klopfer. Wahrscheinlich zu überrascht, um auch nur zu schreien.

Hase lächelte.

„Bis jetzt.“

Eine rote Schaufel mit zwei schwarzen Silhouetten, bei der die Farbe bereits abblättert.

Thomas Knüwer

Die Uhr

»Das mach ich nie wieder.«

»Das Graben?«

Lea warf die Schaufel auf den Boden. »Das davor.«

Nuri sah auf sein Handy. »Drei Stunden. Länger als ich dachte.« Er stocherte in der aufgewühlten Erde. Sie hatten ihn zwei Meter tief vergraben wollen, damit Wildtiere keine Witterung aufnahmen. Doch der Boden war steinig und von Wurzeln durchzogen gewesen. Nach einem Meter hatten sie aufgegeben, die drei Müllsäcke hineingerollt und zugeschüttet.

»Hol Laub.« Lea sah ihn erwartungsvoll an, er seufzte. »Bitte.«

»Sehr gerne.« Nach zehn Minuten waren alle Spuren unter Laub, Zweigen und Moos verschwunden.

»Lass uns …«, er stockte. »Dein Handy klingelt.«

Sie sah auf ihr Smartphone und schüttelte den Kopf. Er prüfte seins. Nichts. Für einen Moment blieben sie reglos stehen, das Piepen war dumpf, aber deutlich zu hören.

»Was ist mit seinem Handy?«

Sie zog ein lädiertes Smartphone aus ihrer Gesäßtasche. Das gesprungene Display funkelte tiefschwarz. »Habe ich ausgeschaltet, bevor wir …«

Er neigte den Kopf. »Es … kommt von unten.«

»Unmöglich.« Sie kniete sich neben ihn und lauschte. »Verdammt.«

Er seufzte. »Die Uhr.«

»Welche Uhr?«

»Die Smartwatch. Wahrscheinlich piept sein Wecker.«

»Du hast sie nicht abgenommen?«

»Ich habe nicht daran gedacht.«

»Und jetzt?«

»Kannst du sie mit seinem Smartphone deaktivieren?«

»Es ist aus.«

»Dann schalt es ein.«

»Ich kenn den Code nicht.«

»Sein Geburtstag?«

»Woher soll ich den wissen?«

»Perso?«

»Hatte er nicht dabei.«

»1234?«

»So dumm ist er nicht.«

»War.«

Sie verzog den Mund. »So dumm war er nicht.«

»Kannst du es hacken?«

Sie breite die Arme aus. Die Hosenbeine ihres blauen Seidenanzugs hatten sich mit braunem Pfützenwasser vollgesogen.

»Sieh mich an. Ich hab noch nie irgendwas gehackt!«

»Vielleicht …«

»Vergiss das Handy!« Sie funkelte ihn an. Vögel stoben aus den Baumkronen.

»Schon gut.« Er nahm die Schaufel. »In welcher Tüte sind die Arme?«

Eine lila/graue Fotografie von einem Backstein-Keller

Yvonne Uhlig

Untermiete

Ich wohne seit ein paar Monaten zur Untermiete im Haus einer älteren Dame in einem schönen Wohnviertel. Kleine Einfamilienhäuser stehen Seite an Seite, jedes einzelne umgeben von einem kleinen Garten. Nebenan wohnt ein älterer Mann. Sein Garten ist sehr gut gepflegt und fast jeden Tag sitzt er vor seinem Gartenhaus, liest Zeitung und beobachtet die ständig wechselnden Frauenbekanntschaften seines Nachbarn zur anderen Seite.

Schon kurz nach meinem Einzug fiel mir auf, dass unser Nachbar tagsüber nie in sein Gartenhaus hineingeht. Und dennoch scheint in manchen Nächten ein schmaler Lichtschein durch die Gardinen des Gartenhauses. Was treibt er dort? Ich habe noch nie etwas Verbotenes getan.

Doch heute ist es so weit. Freitags um neunzehn Uhr fährt er mit seinem Wagen für drei Stunden weg. Ich warte noch einen Augenblick, dann schleiche ich leise durch das Haus, schnappe mir die Taschenlampe meiner Vermieterin, die immer an der Hintertür hängt, und schlüpfte hinaus. Im hinteren Teil des Gartens wachsen dichte Büsche. Ungesehen klettere ich über den Zaun in den Nachbargarten. Das Gartenhaus ist nicht einmal verschlossen! Die Einrichtung erscheint mir ungewöhnlich spartanisch – ein Sessel, ein Tisch, ein Fernseher. Den Boden bedeckt ein riesiger Teppich. Ich hebe eine Ecke an und siehe da, eine Bodenluke. Ich wuchte den Deckel hoch und steige die Treppe nach unten. Als das Deckenlicht aufleuchtet, zucke ich erschrocken zusammen. Aber es ist niemand hier, ich bin allein. Der Keller ist riesig, er muss so groß wie der gesamte Garten sein. Es gruselt mich.

Gegenüber der Treppe ist eine Tür, die der Tür eines Kühlschrankes ähnelt. Langsam gehe ich darauf zu, lege den Griff um und öffne sie. Was ich dahinter sehe, lässt mir das Blut in den Adern gefrieren.

In dem Moment höre ich hinter mir ein Geräusch. Als ich mich umdrehe und meinen Nachbarn mit einem Grinsen im Gesicht sehe, weiß ich: Ich werde diesen Keller nicht mehr lebend verlassen.

Wir gratulieren allen Finalistinnen und Finalisten herzlich und freuen uns auf viele Teilnehmer*innen bei unserem Bookdate Finale am 29. April 2023.

Du möchtest dabei sein? Dann melde dich gerne an über unsere Eventbrite-Seite. Selbstverständlich kannst du auch spontan vorbeikommen. Eine Anmeldung hilft uns aber bei der Vorplanung der Veranstaltung.

Autorin

Jessy Halermöller

Jessica Halermöller

ist seit 2018 für den Bereich Content- und E-Mail-Marketing bei BoD verantwortlich und betreut neben dem Blog und Newsletter für Autor*innen auch die Social-Media-Kanäle des Unternehmens. Wenn sie privat nicht gerade Boulderwände hochklettert, liest sie am liebsten Gegenwartsliteratur und Fantasyromane.

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